Dokumentation PIT Kassel 2018
Anlass des Workshops
Wir beschäftigen uns in diesem Workshop mit der Relevanz von
Geschlechtergerechtigkeit für die planerische Disziplin und reden über den Stellenwert von Gender
und Feminismus in unserem Curriculum. Werden diese heutzutage in Zivilgesellschaft, Politik und
Wirtschaft durchaus virulenten Themen angemessen in unserem Lehrplan berücksichtigt? In welchen
Lehrformaten und in welchem Umfang? Wie stehen sie im Verhältnis zu anderen Inhalten?
Zudem wird auch ein kleines theoretisches Fundament in Sachen Gender und Planung geboten,
durch einen kurzen fachlichen Input sowie das Lesen und Diskutieren von Auszügen relevanter
Literatur.
Ziel des Workshops soll es sein, ein persönliches und fachliches Bewusstsein für die Relevanz von
Genderfragen für Planungsfragen zu entwickeln, den aktuellen Stand der Lehre zu evaluieren und
hierzu Position zu beziehen.
Motivation
Anton aus Dortmund: interessantes Thema, Schwierigkeiten es auf eine konkrete Planungsebene zu
bringen
Janne aus Hamburg: In den Planungsstudiengängen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen,
trotzdem ist die Planungskultur noch sehr konservativ -> Problem: Lebensrealität dringt nicht in die
Planung durch
Caro aus Dortmund: ähnliche Motivation, wie Anton
Clara aus Wien: Interesse an Stadtsoziologie, allerdings noch nie über Genderthemen nachgedacht,
wundert sich darüber und will etwas lernen
Nina aus Wien: ähnlich wie bei Clara; erste Assoziation beim Workshoptitel: gendergeprägte Räume
Mareike aus Dortmund: Hat den Text „Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“ schon in
der Uni gelesen, in Dortmund gibt es ein Fach „Raum und Gender“. Fragt sich, wie und ob das Thema
in anderen Städten thematisiert wird.
Olli aus Dortmund: Vorlesung „Raum und Gender“ ein erster Anstoß, das Thema kam im Studium
danach nicht mehr vor, möchte jetzt nochmal darüber diskutieren.
Paulina aus Hamburg: Vorlesung letztes Semester über Gender und Planung. Planungsszene ist
männerdominiert, auch in der Uni (es gibt einige Professorinnen, aber eben nur einige) -> Warum ist
das so?
Gaia aus Berlin: Frauen in wichtigen Planungspositionen selten, das ist ein Problem.
Assoziationen zu verschiedenen Bildern
Zeigen von verschiedenen problematisierenden Bildern, Austausch über Assoziationen zu den
jeweiligen Bildern, dazu fachlicher Input. -> Das Schaffen einer gemeinsamen theoretischen
Grundlage basierend auf dem Text Becker, Ruth (2008). Raum: Eine feministische Kritik an Stadt und
Raum. In: Becker, Ruth; Kortendieck, Beate (hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, S.
807 – 819, sowie ein Anstoßen der Diskussion / des Austausches
a. Problem der Reproduktionsarbeit im Reihenhaus
b. Problem eines ÖPNVs, der nicht auf die Bedürfnisse von Frauen / Reproduktionsarbeit
ausgelegt ist
c. Männer nehmen mehr öffentliche Räume ein als Frauen
d. Der problematische Diskurs um sog. „Angsträume“
e. Sexismus im Berufsleben
f. Auch Bau- und Planungspolitik männlich dominiert
g. Also: Raum und Gesellschaft konstituieren einander
Lesezirkel
Ca 40 min Lesen von Auszügen aus suburban. zeitschrift für kritische stadtforschung
(18.November2017). Themenschwerpunkt: Stadt der Reproduktion.
– Hayden, Dolores (1981): Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen? Überlegung zum
Wohnen, zur städtischen Umwelt und zur menschlichen Arbeit
Zeitgenössische Kommentare zu diesem Text:
o Kuhlmann, Dörte: Nihil sub solem novum – Nichts Neues unter der Sonne.
o Rodenstein, Marianne: Eine Utopie von gestern – Haydens nicht-sexistische Stadt.
o Witthöft, Gesa: Politische Positionierung tut not!
o Huning, Sandra: Das Wagnis des Spekulierens: Inspirationen aus der nicht-
sexistischen Stadt.
o Reuschling, Felicita: Eine feministische Perspektive für Berlin heute.
o Hayden, Dolores: „Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“ neu gelesen
Diskussion nach der Lesesession:
Dolores Hayden zeigt konkret auf, wie man durch Architektur Bedürfnisse der Frau besser treffen
kann und entlarvt das EFH als Bastion der Reproduktionsarbeit. Eine gute Idee, Räume für
Reproduktionsarbeit als Gemeinschaftsräumen zu konzipieren, damit die Frau nicht mehr in ihrer
Küche eingeschlossen ist.
Hayden zeigt, dass man durch Räume gesellschaftliche Strukturen auch verändern kann.
Reproduktionsarbeit kann zwischen mehreren Menschen aufgeteilt werden, muss nicht zwangsläufig
zwischen Mann und Frau sein
Man muss zwar das, was im Haus passiert zwar berücksichtigen, allerdings muss das Gebiet gut
angebunden sein (Beispiel Hamburg Steilshoop in Hamburg – erster housing improvement district in
Deutschland, sozialer Brennpunkt, weil schlechte ÖPNV-Anbindung)
Gebaute Umwelt wirkt sich stark auf die Menschen aus. Man kann durch Bauen einiges erleichtern,
allerdings kann eine Gesellschaft nicht durch bauliche Maßnahmen verändert werden
Der Traum vom EFH im Grünen hält sich hartnäckig. Man müsste politisch ansetzten, um eine
Veränderung zu erreichen. Verknüpfung von Einfamilienhaus und Kapitalismus wegen eines
vermeintlich zu erreichenden vorgelebten Lebensstandards.
Politik und Medien müssten in die Pflicht genommen werden -> Menschen sollten nicht die ganze
Zeit zum Konsum getrieben werden. Gesetze / Förderungen
Geförderter Wohnbau ist ein guter Ansatzpunkt. Wohnungen gezielt für bestimmte Bedürfnisse
schaffen. (Kinderbetreuung im Haus mit Alleinerziehenden)
Wie kann das ohne drastisches Umdenken stattfinden, sodass all diese Maßnahmen kein
Tropfen auf dem heißen Stein bleiben?
Gesamtgesellschaftliche Stigmatisierung kann nicht durch einzelne planerische Interventionen
verändert werden
Politik müsste in Boden- und Immobilienmarkt aktiv eingreifen, um räumlichen
Ausgrenzungsdynamiken Einhalt zu gebieten.
Quartiersebene / Quartiersmanagement? -> Welche Ebene ist wirksam?
Was ist die gesellschaftlich-wissenschaftliche Ebene, auf der man debattieren sollte? Wieso ist die
Nicht-Sexistische Stadt keine Utopie, die geschmiedet wird, wie die Smart City oder die Resilient
City?
Feminismus ist gesellschaftlich negativ gesetzt, Notwendigkeit wird nicht verstanden.
Ist Feminismus „objektiv“? -> wieso wird es immer als emotionalisiert / extrem politisch dargestellt?
Planung ist politisch!
Feminismus muss nicht extrem und schrill sein, es geht um alle marginalisierten Gruppen. Ist eine
nicht-sexistische Stadt eine feministische Stadt?
„Unpolitisch“ sein ist eine politische Einstellung, als Planer*in sollte man sich eben nicht von der
Wirtschaft leiten lassen.
Man kann als Planer*in immerhin Tatsachen schaffen -> ist das nicht ein guter Anfang?
Architektur sieht sich als Kunst / ästhetische Disziplin und reflektiert ihre soziologischen
Auswirkungen nicht -> Problem
Apolitisch sein ist auch eine politische Haltung, weil man den Status Quo einfach nur reproduziert.
Man müsste die Leute, die sich aus der Verantwortung ziehen, nur nach „objektiven“ Kriterien
handeln und deswegen feministischen Themen ignorieren, in die Pflicht nehmen.
Wir als Planer*innen habe eine Verantwortung, was das angeht, wir müssen in unsere späteren
Berufsleben entsprechend handeln
Wie ist es in der Uni?
Dortmund:
Es gibt die Gleichstellungskommission: es sind immer die gleichen Leute, man findet keine
Nachfolger*innen. Es verläuft sich so langsam im Sand
In den Entwürfen werden feministische Themen nicht wirklich berücksichtigt.
Gendern: Dumme Sprüche für Gleichstellungskommission, Kämpfe, grundlegendes Verständnis
scheint zu fehlen. In Texten generisches Maskulinum
Im Projekt haben sich mal immer nur Männer gemeldet. Boys Listening Hour eingerichtet, sehr
erfolgreich.
TU-Spirit setzt sich durch. In Projekten die Erfahrung, dass es schwierig ist, weil nur Männer reden. Es
gibt versch. Lehrstühle, wo diese Themen wichtig sind. Abseits dessen aber eher nicht. Entwurfslehre
super a-politisiert.
Verschiedene Fachgebiete kommunizieren nicht miteinander
Apolitische Haltung wird auch von Profs vorgelebt / weitergegeben
Nur noch eine aktive Professorin
Hamburg:
Gruppenarbeiten recht ausgeglichen, teilweise beteiligen sich die Frauen sogar mehr, weil es viele
kommunikative Aufgaben gibt
Gendern immer eine Debatte, immer wieder ein Kampf. Inzwischen gibt es einige Lehrende, die das
auch berücksichtigen (auf Nachfrage)
Es gibt eine Gleichstellungsbeauftragte
Die meisten Profs Männer, WiMis in den Seminaren meist weiblich. Softskills werden von Frauen
vermittelt, Technik von Männern
Stadttechnik-Prof und Soziologie und Geschichte weiblich besetzt
Das Gefühl, dass die Jungs mehr sagen und teilweise ein bisschen ernster genommen werden
(kommt auch sehr auf die Lehrenden an)
Gendern wird nicht vorgegeben
Gremienarbeit wird belächelt (8% Wahlbeteiligung)
Andere Studiengänge setzen sich damit überhaupt nicht auseinander.
Berlin:
Stadtplanung Geschlechterverhältnis 50 / 50. Projektwahl: Fachbereich Ökonomie nur 2 Frauen von
18 Teilnehmer*innen, Soziologie nur 1 Mann. Sonstige Fachgebiete sehr ausgeglichen. Wahl hat wohl
viel mit Selbstbild zu tun und damit, in welchem Bereich man mehr Zuspruch bekommen hat – man
traut es sich auch nicht so wirklich in die Ökonomie, weil man dort keine anderen Frauen sieht
Lehrpersonal recht ausgeglichen, Redeanteil auch.
Wien:
Raumplanung das einzige Studium, wo es ein bisschen mehr Frauen gibt, Profs etwas mehr Männer,
andere Vortragende recht ausgeglichen.
Mit generischem Maskulinum ist es beim Schreiben getan, Policy relativ frei
Männer sind dominanter in der Diskussion, Frauen kommen allerdings auch zu Wort.
Gendern scheint wichtig zu sein. Es gibt einen Leitfaden für Gendern im Fachbereich, wird im
wissenschaftlichen Arbeiten vermittelt.
Arbeitserfahrung:
Im Büro wird bei den Ausschreibungen nicht gegendert, in Preisgerichten nur Männer -> beim
Verlassen der Uni-Bubble wird’s schwierig.
Student*innen müssen Baustellenpraktika machen, machen sehr schlimme Erfahrungen und
bekommen keine Unterstützung, wird nicht hinterfragt oder diskutiert.
Feedback:
– Unterschiedliche Unis angucken interessant -> Vergleich kann gut sein, z.B. beim Verändern
von Zitierrichtlinien
– Spannendes Thema, über das noch nicht nachgedacht wurde; sollte weiterhin angeboten
werden, als nächstes vielleicht Ursachen des Sexismus untersuchen
– Es sollten noch andere HoPos dazu angeboten werden
– Während dem HoPo lesen war gut, intensivere Textbesprechung wäre gut, mehr
Visualisierung (Plakate)
– Informelles Reden und Sitzen war gut
– Gemütlichkeit gut
– Input / Erfahrung / Selbst Erarbeitung / Austausch gut ausgeglichenes Verhältnis
– Methodischer Einstieg mit Bildern war gut, hat zu einem lockeren Einstieg in die Diskussion
geführt, entspanntes Gesprächsklima, gute Runde
– Gut zu hören, was in anderen Städten passiert -> es hat einen Effekt Feminismus zur Plicht im
Studium zu machen